„Oceans Seven“ Extremsportler André Wiersig ist der einzige Deutsche in einer Liste von 17 Menschen weltweit, der die sieben gefährlichen Meeresengen durchschwommen hat: in Badehose mit Kappe und Schwimmbrille. Nachts, im Kampf gegen Kälte, Wellen und Strömungen, giftigen Tentakeln von Quallen, mit Haien und Walen und nicht zuletzt umgeben mit Plastikmüll. Gestern berichtete der 47-jährige Paderborner vor den rund 100 Dritt- und Viertklässlern der Melanchthonschule von seinen abenteuerlichen Erlebnissen. „Wir hätten sehr wahrscheinlich auch das große Bürgerhaus füllen und zig weitere Zuhörer einladen können, doch wir haben ihn hier und heute nur für uns allein,“ leitete Förderverein Vorsitzender Dirk Schröter als Organisator und Sponsor die Autorenlesung ein.
Die Straße von Gibraltar (14 Kilometer breit), eine der meistbefahrenen Wasserstraßen der Welt sowie die Cookstraße bei Neuseeland (26 Kilometer) meisterte der Extremschwimmer erst im letzten Jahr, auch im ersten Anlauf, wie bereits 2014 den Ärmelkanal (34 Kilometer), 2015 folgte der Kaiwi Kanal vor Hawaii mit seinen 44 Kilometern in 18 Std 46 Minuten, der Nordkanal ( zwischen Irland und Großbritannien 34 Kilometer) 2016, ein Jahr später der Santa Catalina Kanal im Pazifik und 2018 die Tsugaru-Straße zwischen den japanischen Inseln Honshú und Hokkaidó mit 20 Kilometern.
Es hätte eine Nadel fallen können, man hätte sie gehört. So packend nahm der Sportsmann, Manager und Familienvater gestern die 100 Mädchen und Jungen in der Turnhalle mit zu seinen waghalsigen Reisen. Die Filmaufnahmen sowie packenden Bilder ließen alle live dabei sein, ansteckend auch seine Motivation: die Liebe zum Meer. Eins werden mit der Natur, allein sein und die Weite spüren. Und das in stockfinsterer Nacht. „Haie sehen nachts so wenig wie Menschen“, zudem seien sie dann nicht auf Beutezug, „ich bin der einzige auf der Welt, der ohne elektromagnetisches Stromfeld schwimmt“ erläuterte Wiersig, der selbst auf einen solchen oder einen Haikäfig-Schutz verzichtet. Das passe nicht zu seinem Gefühl, auch eins mit dem Ozean zu sein. „Hast Du Angst, bist Du seine Beute.“ Ruhig bleiben ist seine Devise, Berührungen und Tuchfühlung hatte er mit Haien und vielen weiteren Meerestieren, auch schmerzhafte. So schwamm er mehrmals in die Fangarme der Portugiesischen Galeere, das Giftgemisch der Nesselzellen sei so schmerzhaft, die Tentakeln schwer vom Körper entfernbar, die Narben seien heute noch auf seinem Körper sichtbar. Mit den Schmerzen weiterschwimmen habe er viele Jahre geübt, im Urlaub am Mittelmeer sei er bewusst zu den Quallen geschwommen, um Schwimmen mit Schmerzen zu trainieren. Überhaupt sei Training und eine gute Vorbereitung wichtig, 22000 Armzüge bei einer Überquerung sei eine große sportliche Herausforderung, dabei ist die Kälte ein großer Feind. Drei Jahre lang hätte er nur kalt geduscht, eine Regentonne im Garten diente täglich im Winter als Badewanne, „auch wenn ich erst das Eis mit einem Beil zerstören musste.“
Fasziniert ist Wiersig von den Meeresbewohnern: „Ich esse seitdem keinen Thunfisch mehr“, erklärte er, denn die Japaner spannen kilometerlange Angelschnüre mit Fanghaken für die Thunfischjagd, die so leichte Beute am Band für die Haie seien. Dabei sind die Thunfische der natürliche Feind von Quallen, deren Population sich so ausweitet.
Viele Erkenntnisse für ihr Leben gab er den Kindern mit auf ihren Weg: „Man(n) ist immer nur so gut, wie die Leute, die hinter einem stehen“ regte er an, dass sie Familie und Freundschaften auch über viele Jahre pflegen und wertschätzen sollten. Und: Nicht so schnell aufgeben! Auch wenn z.B. „die Schmerzen nach den Gifttentakeln stark sind, die hätte ich auch im Boot weiter gehabt, also hier oder da, da konnte ich auch weitermachen und irgendwann habe ich nicht mehr darüber nachgedacht aufzuhören.“
Schwimmen lernen im Kindesalter sei ebenfalls wichtig, und als Botschafter der deutschen Meeresstiftung ging er natürlich auch auf die Problematik der Plastikvermüllung der Meere ein. „Ich habe geschrien“ erklärte er als er im dunklen auf seinem Kopf etwas spürte und ihn einhüllte. Eine Plastikfolie. „Das ist, als wenn Euch im Freibad jemand an den Füßen nach unten ins Wasser zieht“. „Wir müssen etwas tun“, „ich habe mich oft geschämt für die Menschen“ appellierte er. Selbst jedes Stück Plastik, was wir am Strand aufheben, kann nicht mehr ins Meer gespült werden, regte er an. Die Meere und Ozeane sind Jahrtausende alt, Plastik gibt es erst seit 70 Jahren und beherrscht schon das Meer, das sei erschreckend. Greta Thunberg wäre ein wunderbarer Mensch, die vieles bewegen würde, auch von seiner Zusammenkunft mit ihr in Hamburg berichtete der Schwimmer.
Jeder kann etwas leisten, daher unterstützte er mit seinem Besuch auch die jüngsten Projekte der Schule mit den gesammelten Klima-Tipps. Denn solche Schulvisitationen und Buchvorstellungen übt Wiersig in seiner Freizeit aus, im Beruf ist er Vertriebsleiter in der IT-Branche. Doch sein nächstes Ziel ist auch schon gesteckt. 55 Kilometer durch die Nordsee zur deutschen Hochseeinsel Helgoland. Den Traum arbeitet der Extremschwimmer derzeit aus, schwierig dabei seien aber die Strömungen. Die Grundschüler waren begeistert, stellten noch unzählige Fragen und wollten gar nicht die Turnhalle verlassen. Als der Schwimmer versprach, wenn er die Liste ihrer Namen bekäme, würde er ihnen allen eine Autogrammkarte senden jubelten sie und lagen sich vor Freude in den Armen und schwärmten: „So ein berühmter Mann bei uns!“ Dass Wiersig mit seiner ruhigen Art und fesselndem Charme und Witz eine große Fangemeinde gewinnen konnte, zeigte sich allein schon am langanhaltendem Applaus. Auch Dirk Schröter und Delia Heck waren begeistert, baten den Schwimmer sich ins „goldene Schulbuch“ einzutragen und die Bücher „Nachts allein im Ozean“ zu signieren und bedankten sich bei ihm mit einem maritim bestückten Präsentkorb.